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Nachtdienst

Dasitzen, den Kopf von der Hand gestützt. Das Radio plärrt.

Starr sticht der Blick in die Finsternis hinter dem Fenster, während der romantische Text in Gedanken verbildlicht wird.

Ein angenehmes, weil beruhigendes Gefühl kommt kurz auf und wird abrupt von einem Läuten beendet. In der Dunkelheit grollt das Eisen eines herannahenden Zuges. Die Schienen ächzen leise, doch hörbar. Eine leichte, fast nicht zu spürende Unruhe umklammert den Brustkorb. Er kommt näher, das Rauschen wird immer unbequemer, läßt die beruhigende Musik verstummen, hält längere Zeit an, ist dann endlich vorbei und verliert sich schließlich in den Klängen der wieder an Substanz gewinnenden Musik.

Die Tischlampe wirft ein Strahlenrund auf den Schreibtisch, die darauf befindlichen Gegenstände und den Körper, nur der Kopf ist außerhalb dieses Rundes.

Von draußen klingt das dumpfe Dröhnen der, eine sichere Zukunft versprechenden, Industrie herein. Ungemütlich, geldgierig, bedrohend. Alles was mit Geld zu tun hat, ist doch irgendwie bedrohend. Und – sichere Zukunft? Fragt sich nur für wen!

Eine neue Platte klingt aus dem Radio. Langsam, einschmeichelnd, genau wie die letzte: „Tonight, tonight…“ .

Das offene Fenster leitet ein konstant-regelmäßiges Auto- und Mopedgeräusch an die Ohren. Schrill, unruhig, nervös.

Eine Klingel schlägt an und verliert in dem Motorengeräusch von draußen, den sonst so hölzernen Klang, klingt rein und angenehm und zerteilt die schrillen Laute von draußen.

Die Zeitung liegt auf dem Tisch und posaunt großlettrig „Ölschock kaum zu verkraften“ heraus. Ist doch komisch, die Zeitungen sind voll von Negativsensationen, verbreiten, mit Freude zwischen den Zeilen, Deprimiertheit unter den Lesern – es läutet.

„41305 um 22, verstanden. „

– überall, Radio, TV, Zeitschriften. Doch in der von sogenannten Verantwortlichen veroberflächlichten Welt ist nichts davon zu spüren, außer durch häufige „Leute-zahlt’s-höhere-Steuern-und-macht’s-euch-keine-Sorgen-wir-richten-das-schon-für-euch-Sprüche“, was etwa soviel heißt wie, „arbeitet’s aber denkt’s nicht“.

Sieben vor halb neun. Ach Gott, noch zehn Stunden!

Wieder ein Läuten, aber diesmal ein anderes, ein helleres, dazu ein Rascheln. In der Dunkelheit taucht ein Zug auf; darauf, sorgfältig aneinandergereiht, Hunderte von noch konservierten Autos.

Wer soll die alle bloß kaufen? Jeder klagt kein Geld zu haben, Benzin wird andauernd teurer, und trotzdem steigen die Verkaufsraten alljährlich an!

Die Lärmwolke flaut ab, verzieht sich wieder. Ruhe und die Musik kehren zurück. Dann ein Klicken – und ein Läuten, nun ist der Zug auch sicherungstechnisch vorbei.

„749 um 31, verstanden EB.“

Wie der schnell redet im Radio. Grüße via Radio, unpersönlich, kalt. Würde er nicht reden oder jemandem das Beileid ausdrücken, es wäre dasselbe.

Und wieder eine von diesen stupiden Platten, im Hintergrund tam-tam-tam-tam und davor der Sänger la-la-la-la. Alles Schema B (B für Bonzen, Bankkonto…). Weit haben wir’s schon gebracht.

Die Hand schmerzt auch noch immer. Hoffentlich ist’s wenigstens nächste Woche aus damit.

Wieder Autos, wieder ein Zug. Ein Personenzug.

Klappernd wird er langsamer, rauschend hält er an, schnurrend verharrt er, krachend und stolpernd fährt er weiter. Dann der vertraute Griff zur Sicherungsanlage, Vor- und Rückblockung, ein Läuten für den Nachbarbahnhof.

Blick geradeaus. Alte, großflächige Fenster an denen das Schwarz der Nacht klebt. Auf dem Tisch stehen der Bildfahrplan, die Tischuhr, rechts und links Telephone und liegen mehrere Vormerke, Schreibgeräte und meine Schulsachen.

Blick nach rechts. Auch dort klaffen große Fenster mit dunklem Hintergrund in der hellen Farbe der Wand. In der Ecke eine kleine Palme im Blumentopf, draußen in der Dunkelheit einige Lichter der Bahnsteigbeleuchtung.

Blick nach links. Auf der einen Seite die Blockeinrichtung, auf der anderen die Schränke und dazwischen wieder Fenster, dahinter lichtdurchbohrte Dunkelheit.

‚Die Beatles‘ im Radio, ein Läuten, ein Zug.

„501 um 41, EB verstanden.“ Aufstehen, freistellen, niedersetzen, einschreiben.

„..inside the forest is a door..“, verrät das Radio und „..so und jetzt zur Entspannung eine Verkehrsmeldung“: tatataa-tatataaa „nach einem schweren Verkehrsunfall auf der Autobahn Linz-Salzburg bei Sattledt, größere Stauungen in diesem Bereich. Großräumiges Ausweichen wird empfohlen.“ tatataa-tatataaa.

„Und jetzt weiter in unserer bunten Musikschau.“

?! Da fragt man sich, ob er das ernst gemeint hat, zum Spaß oder nur, um etwas zu sagen! Der Stimme nach zu schließen lag er zwischen Ernst, Zeitüberbrückung und dem Streben aller Rundfunkmoderatoren, jeden auch noch so kleinen Zeitraum zwischen Platten, Werbung und Nachrichten mit ihrer Stimme aufzufüllen.

Wieder ein Läuten.

„50007 um 46, EB hat’s.“

Aufstehen, freistellen, niedersetzen, einschreiben.

„165 um 49, verstanden, 75302 um 53, 222, 41331, 39998, 248,

-um 57, um 59, um 2, 4, 5, 21, 31, 57, verstanden, EB hat’s, verstanden…..“

Aufstehen, freistellen, niedersetzen, klingeln, auf, nieder, frei, halt, sitzen, Musik, Zug, auf, nieder, klingeln, halt.

„Junge Schmöllerwelt“
Aug 1980

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